Lukaschenkas unverhohlene Drohung
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Das Wochenende hat der Machthaber in Belarus als „Bedenkzeit“ ausgegeben. Danach gelte: „Macht muss Macht sein.“ Wird das Regime den Protest mit Gewalt ersticken? Am Abend zeigte sich Lukaschenka mit einer Kalaschnikow vor dem Präsidentenpalast.
Trotz Einschüchterungsversuchen des Regimes zogen am Sonntag wieder Zigtausende Belarussen durch etliche Städte des Landes und riefen „Geh weg“ an die Adresse des Machthabers Aleksandr Lukaschenka. Für die Protestbewegung stand viel auf dem Spiel. Lukaschenka ist in den vergangenen Tagen in die Offensive gegangen. So will er mit Versammlungen „zur Unterstützung des Friedens, der Sicherheit und der Ruhe“ zeigen, dass er noch Unterstützung in der Bevölkerung hat. Dabei werden die grün-roten Landesfarben mit Folkloreornamenten am Rand geschwenkt, in Abgrenzung zu den weiß-rot-weißen Farben der Demonstranten. Hubschrauber ziehen die Landesfahne über Stadtzentren, Traktoren fahren mit ihr durch die Straßen, Männer halten sie bei Autokorsos aus Fahrzeugen, von denen viele keine Kennzeichen haben.
Am Abend ließ sich Lukaschenka mit einem Hubschrauber über Minsk fliegen, wobei er über die Demonstranten sagte, sie seien „wie Ratten auseinander gerannt“, und bewaffnet mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr filmen, unter anderem dabei, wie er Sondereinheiten dankte.
Grün-Rot ist auch präsent in Social-Media-Aktionen und neuen Kleidungsstücken mit der Aufschrift „Für Batka“ (Vater), was für Lukaschenka steht. Viele erkennen in den Aktionen die Handschrift russischer Politikberater; Lukaschenka hat nur bestätigt, dass russische „Spezialisten“ ins Land gekommen sind, um streikende Mitarbeiter seines Staatsfernsehens zu ersetzen.
Den Wahlkampf bestritt er mit einer russischen Bedrohung, insinuierte, Tichanowskaja sei eine Moskauer Marionette – jetzt soll die Gegnerin ein Büttel des Westens sein, im Szenario einer „Farbenrevolution“, die sich gegen Russland und Belarus richte. Auch russische Medien sind eingespannt; so ruft nun auch der russische Staatspropagandist Wladimir Solowjow, der noch vor kurzem erbittert auf Lukaschenka schimpfte, die Belarussen dazu auf, sich nicht vom Westen das Land „stehlen“ zu lassen.
Die Drohkulisse wird aufgezogen
Zugleich bauen Lukaschenkas Sicherheitskräfte eine Drohkulisse auf und halten in der Mehrzahl zum Autokraten, trotz aller Aufrufe Tichanowskajas, „auf die Seite des Volkes“ zu kommen. Andrej Porotnikow vom Newsportal Belarus Security Blog sagt, von insgesamt 40.000 Polizisten hätten seit dem 9. August, also seit dem gewaltsamen Vorgehen gegen die Demonstranten in den ersten Tagen nach der Wahl, etwa 1000 den Dienst quittiert. Abtrünnige verlieren Einkünfte und müssen mit Repression rechnen.
Im westrussischen Pskow wurde nun der frühere Minsker Ermittler Andrej Ostapowitsch festgenommen, der gekündigt und auf Instagram geschrieben hatte, festgenommen würden Leute, „welche die ganze Wahrheit über die Vorgänge in Strafanstalten erzählen“. Laut seinem Anwalt wurde Ostapowitsch am Sonntag an Belarus übergeben. Menschenrechtsschützer haben eine Liste von neun Leuten zusammengestellt, die seit dem vergangenen Dienstag verschwunden sind, in einigen Fällen nach Festnahmen.
Besonderen Wert legt das Regime darauf, die Streikkomitees in Staatsbetrieben aufzulösen. Verhandlungen mit Tichanowaskajas Koordinationsrat, der eine friedliche Machtübergabe anstrebt, hat das Regime ausgeschlossen. Stattdessen stellt es das Gremium als Instrument der Machtergreifung dar und hat Strafermittlungen eingeleitet.
Videobotschaft vom „heiligen Ort“
Vor der Sonntagsdemonstration in Minsk veröffentlichte Verteidigungsminister Viktor Chrenin eine Videobotschaft, die er vor einer Stele zu Ehren der Opfer des Zweiten Weltkriegs in Minsk aufzeichnete: Mit Blick darauf, dass auch Kollaborateure der deutschen Besatzer die weiß-rot-weiße Flagge genutzt hatten, sagte der Minister, man könne solche Flaggen nicht an „heiligen Orten“ der Erinnerung dulden. Bei „Verstößen gegen Ordnung und Ruhe an diesen Orten werdet ihr es nicht mit der Polizei, sondern mit der Armee zu tun bekommen“. Ein Einsatz der Armee gilt als riskant für Lukaschenka, zumal unter den Soldaten viele Wehrpflichtige sind. Eine weitere Gefahr aus Sicht des Regimes kleidete Chrenin in die Formel, „Handlungen zur Stabilisierung der Lage“ könnten „als Genozid am eigenen Volk“ dargestellt werden.
Besonderen Wert legt Lukaschenka darauf, eine akute Bedrohung durch die Nato zu suggerieren. Am Samstag gab Lukaschenka im westlichen Hrodna im Dreiländereck mit Polen und Litauen seinem Verteidigungsminister auf, auf Grenzverletzungen „ohne Warnung“ zu reagieren, und besuchte in Uniform einen Truppenübungsplatz. Bei einer Unterstützerversammlung in Hrodna sprach er dann von Plänen, das Gebiet Hrodna, „die westliche Perle von Belarus“, militärisch „abzuhacken“. Der Westen versuche, eine „alternative Präsidentin“ nach Belarus „zu schleppen“. An den Grenzen werde „mit der Waffe geklirrt“, doch müssten die Spezialkräfte „auf den Plätzen“ die Sicherheit gewährleisten.
In Hrodna, einem Schwerpunkt der Proteste, hatten die Behörden auf Forderungen der Demonstranten reagiert, woraufhin Lukaschenka jetzt den Gebietsgouverneur auswechselte. Seine Aggressionsbehauptungen wurden in Warschau, Vilnius und von der Nato zurückgewiesen.
Aus ihrem litauischen Exil sagte Tichanowskaja, sie sei überzeugt davon, dass die Militärs nicht friedliche Demonstranten auseinandertreiben würden. Es gehe um „gewöhnliche Einschüchterung der Leute. Aber die Belarussen haben schon keine Angst mehr, sie sind bereit, ihre Rechte zu schützen.“ Seit Freitagabend sind Dutzende Websites, die den Autokraten besonders stören, in Belarus blockiert. Am Samstag in Hrodna gab Lukaschenka das Wochenende als „Bedenkzeit“ aus, aber an diesem Montag „soll man nicht gekränkt sein. Macht muss Macht sein.“ Gemeint ist, dass das Regime den Protest mit Gewalt ersticken will.
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